Wolfram stand mit verschränkten Armen vor der Zelle, in der Erik und seine überlebenden Kameraden untergebracht waren. Der einstige Gefolgsmann von Projekt Nordmark lehnte lässig an der Wand, sein Gesicht ein Ausdruck kühler Gleichgültigkeit. Die anderen Gefangenen waren ruhig, beinahe resigniert, als wüssten sie, dass ihr Schicksal längst besiegelt war. Doch Erik – Erik war anders. Er wirkte nicht wie ein Besiegter. Er wirkte, als hätte er alles unter Kontrolle.
„Ich verstehe dich nicht, Erik“, sagte Wolfram nach einer langen Stille. Seine Stimme war ruhig, aber die Spannung in ihr war unüberhörbar. „Du warst einer von uns. Jetzt führst du feindliche Truppen gegen uns an. Warum?“
Erik hob eine Augenbraue und grinste. „Ich kämpfe nicht für eure Feinde, Wolfram. Ich kämpfe für eine Wahrheit, die größer ist als Projekt Nordmark.“
Wolfram trat einen Schritt näher, seine Augen verengten sich. „Welche Wahrheit soll das sein?“
Erik schüttelte nur den Kopf. „Du glaubst, ihr habt die Kontrolle. Du glaubst, ihr seid den anderen Mächten überlegen. Aber du irrst dich. Jemand hat uns Informationen gegeben, die wir nie hätten haben dürfen. Jemand spielt ein Spiel, das größer ist als wir alle.“
Freya, die neben Wolfram stand, ließ ein leises Schnauben hören. „Du willst uns weismachen, dass ihr manipuliert wurdet? Dass ihr nur Bauern in einem fremden Spiel seid?“
Erik lachte trocken. „Und was, wenn es so ist?“
Wolfram ballte die Fäuste. Er wusste, dass Erik log – zumindest teilweise. Doch wenn nur ein Bruchteil seiner Worte wahr war, dann hatte Projekt Nordmark ein gewaltiges Problem. Doch mehr als das: Es war der Mann vor ihm, der ihn wirklich beunruhigte. Erik, sein einstiger Freund. Der Mann, dem er vertraut hatte. Der Mann, der ihn verraten hatte.
Es war Jahre her, aber die Erinnerung brannte noch immer in Wolfram. Sie hatten Seite an Seite gekämpft, ihre Leben füreinander riskiert. Erik war mehr als ein Kamerad gewesen – er war ein Bruder. Doch dann, an einem Tag, der wie jeder andere begann, war Erik einfach verschwunden. Keine Erklärung, keine Nachricht. Nur ein leerer Platz an Wolframs Seite und ein Loch, das nie wieder ganz heilte.
„Du hast mir nie gesagt, warum du gegangen bist“, sagte Wolfram leise. „Du hast mir nie die Chance gegeben, es zu verstehen.“
Eriks Lächeln verblasste. „Weil du es nicht verstanden hättest. Weil du damals noch nicht bereit warst.“
„Und jetzt?“, fragte Wolfram. „Jetzt bin ich bereit?“
Erik schwieg einen Moment, dann zuckte er mit den Schultern. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber es spielt keine Rolle mehr. Was getan ist, ist getan.“
Wolfram spürte, wie die Wut in ihm aufstieg. „Es spielt eine verdammte Rolle, Erik! Du hast uns verraten. Du hast mich verraten. Und ich will wissen, warum.“
Eriks Blick wurde hart. „Ich habe dich nicht verraten, Wolfram. Ich habe versucht, dich zu retten. Aber du warst zu blind, um es zu sehen.“
„Retten?“, fragte Wolfram unglaubig. „Indem du dich unseren Feinden angeschlossen hast? Indem du gegen uns gekämpft hast?“
„Indem ich versucht habe, die Wahrheit zu finden“, erwiderte Erik. „Eine Wahrheit, die ihr alle ignoriert habt. Eine Wahrheit, die euch zerstören wird, wenn ihr sie weiter ignoriert.“
Freya trat einen Schritt vor. „Und was genau ist diese Wahrheit?“
Erik sah sie an, dann Wolfram. „Ihr wisst es doch. Ihr habt es gesehen. Die Schatten. Die Stimmen. Die Dinge, die ihr nicht erklären könnt. Sie sind nur der Anfang.“
Wolfram spürte, wie ein kalter Schauer seinen Rücken hinunterlief. „Was meinst du damit?“
Erik lehnte sich zurück, sein Gesicht wieder neutral. „Ich habe gesagt, was ich sagen wollte. Der Rest liegt bei euch.“
Wolfram ballte die Fäuste. „Das ist kein Spiel, Erik. Wenn du wirklich glaubst, dass wir in Gefahr sind, dann sag mir, was du weißt.“
Erik schüttelte den Kopf. „Ich habe dir genug gesagt. Mehr kann ich nicht tun.“
Wolfram drehte sich zu Freya um. „Wir brauchen Antworten. Und wir müssen herausfinden, wer in diesem Spiel wirklich die Fäden zieht.“
Freya nickte. „Dann sollten wir anfangen, nach den richtigen Fragen zu suchen.“
Während die Wotansklinge langsam durch die Weiten des Alls glitt, wusste Wolfram, dass sich alles verändert hatte. Ein unsichtbarer Feind lauerte dort draußen – und er wusste mehr, als er wissen dürfte. Doch mehr als das: Er wusste, dass Erik immer noch ein Teil von ihm war. Ein Teil, der schmerzte. Ein Teil, der Fragen aufwarf, die er nie beantworten konnte.