Das Schlachtfeld lag noch im Chaos, als die Truppen der Wotansklinge das feindliche Schiff sicherten. Trotz der heftigen Kämpfe hatte die Crew des beschädigten Kreuzers unerwartet schnell kapituliert. Wolfram ließ sich davon nicht täuschen. Zu oft hatte er erlebt, dass eine Kapitulation eine Falle sein konnte.
„Haltet die Waffen bereit, aber schießt erst auf meinen Befehl!“, rief er seinen Männern zu, während er über die Trümmer der zerstörten Brücke trat. Die Luft war schwer von verbranntem Metall und Ozongeruch, Funken sprühten aus zerfetzten Konsolen. Die überlebenden Besatzungsmitglieder saßen mit gefesselten Händen an der Wand – kaum mehr als ein Dutzend. Keiner von ihnen leistete Widerstand oder versuchte, sich zu verteidigen. Ihre Mienen waren ausdruckslos, als hätten sie mit ihrem Schicksal abgeschlossen.
Freya Eisenhauer trat an Wolframs Seite und flüsterte: „Das ist zu einfach. Sie haben sich kampflos ergeben, als wüssten sie, dass sie ohnehin nichts mehr ausrichten können.“
„Oder als hätten sie eine Mission erfüllt...“, murmelte Wolfram und ließ seinen Blick über die Gefangenen schweifen, bis er an einem Gesicht hängen blieb. Seine Miene versteinerte. „Bei den Göttern... das kann nicht sein.“
Vor ihm kniete ein Mann, der einst zu seinen engsten Vertrauten gehört hatte. Erik Dahl. Einst war er einer der besten Strategen von Projekt Nordmark gewesen – bis er desertierte und sich den Feinden anschloss. Wolframs Kiefer mahlte. „Dahl… du dreckiger Verräter.“
Der Gefangene hob langsam den Blick. In seinen grauen Augen lag keine Furcht, nur ein Hauch von müder Resignation. „Es ist lange her, Wolfram. Ich hätte mir gewünscht, dass wir uns unter anderen Umständen wiedersehen.“
Wolfram packte ihn am Kragen und zog ihn hoch. „Ich will Antworten. Jetzt. Warum dieser Angriff? Warum seid ihr so gut koordiniert? Wer zieht die Fäden?“
Dahl lächelte schwach. „Du kennst die Antwort bereits, oder nicht? Wir sind nur Bauern in einem größeren Spiel. Die Angriffe, die du erlebt hast – sie sind kein Zufall. Jemand oder etwas hält die Fäden in der Hand, und wir alle tanzen nur nach seiner Pfeife.“
Freya verschränkte die Arme. „Wer ist es? Wer plant diese Überfälle auf Projekt Nordmark?“
Dahl schüttelte den Kopf. „Ihr stellt die falschen Fragen. Es geht nicht um das Wer, sondern um das Warum. Ihr seid nicht nur ein Hindernis. Ihr seid ein Schlüssel.“
Wolfram ließ ihn los und trat einen Schritt zurück. Ein Schlüssel? Was meinte er damit?
Dahl fuhr fort: „Ihr kratzt an einer Wahrheit, die besser begraben geblieben wäre. Die Schatten, die ihr verfolgt, die Stimmen, die ihr gehört habt – ihr habt Dinge gesehen, die nie wieder ans Licht kommen sollten. Und je weiter ihr grabt, desto schlimmer wird es werden. Das ist der Grund, warum wir euch aufhalten müssen.“
Freya wechselte einen beunruhigten Blick mit Wolfram. „Meinst du die Schatten aus der Drift?“
Dahl nickte langsam. „Ihr habt sie geweckt. Und jetzt will jeder von uns verhindern, dass sie sich erheben.“
Stille senkte sich über den Raum. Wolfram wusste, dass Dahl keinen Grund hatte zu lügen – zumindest nicht in dieser Situation. Doch wenn das stimmte, bedeutete das, dass ihre Feinde sich genauso sehr vor diesen Schatten fürchteten wie sie selbst.
Er wandte sich an Freya. „Wir müssen herausfinden, wer sonst noch in dieses Netz verstrickt ist. Diese Angriffe sind zu präzise, zu orchestriert. Irgendjemand – oder irgendetwas – sorgt dafür, dass alle Seiten sich gegenseitig schwächen, bevor das wahre Grauen zuschlägt.“
Freya nickte. „Dann sollten wir den nächsten Schritt vorbereiten. Dahl wird uns mehr erzählen – ob er will oder nicht.“
Wolfram sah seinen alten Gefährten an. „Du kommst mit uns. Und ich hoffe für dich, dass du noch mehr Antworten hast.“
Die Gefangenen wurden abgeführt, ihre Schritte hallten durch die zerstörten Gänge des feindlichen Schiffes. Wolfram blieb einen Moment zurück, sein Blick auf die Trümmer gerichtet. Die Schatten, die Dahl erwähnt hatte, schienen plötzlich überall zu sein – in den dunklen Ecken der Brücke, in den flackernden Lichtern, in den leisen Geräuschen, die durch das Schiff hallten.
„Wolfram“, sagte Freya leise, als sie ihn erreichte. „Wir können nicht zulassen, dass er uns verunsichert. Dahl ist ein Verräter. Seine Worte sind wie Gift.“
„Ich weiß“, antwortete Wolfram. „Aber manchmal ist Gift die einzige Möglichkeit, die Wahrheit zu finden.“