Die Wotansklinge lag in der gespenstischen Stille des Warpraums, während die letzten Vorbereitungen für den Sprung getroffen wurden. Doch trotz der Dringlichkeit ihrer Mission brodelte es in den Mannschaftsquartieren. Flüsternde Stimmen hallten durch die Gänge, und die Blicke der Crewmitglieder waren misstrauisch, als würden sie ein Geheimnis wittern.
"Warum wurden sie noch nicht abgeurteilt?"
Die Frage hing in der Luft, so laut wie ein ungeladener Schuss. Erik Dahl und seine Männer saßen seit Tagen in den Arrestzellen – Verräter, die eigentlich längst hätten vor ein Tribunal gestellt werden müssen. Doch Wolfram hatte den Prozess verschleppt, und niemand verstand warum.
Götz, der sonst so wortkarge Waffenmeister, warf einen finsteren Blick Richtung Brig. "Der Alte hat seine Gründe. Aber ich mag nicht, wie die Dänen da unten grinsen. Als wüssten sie etwas, was wir nicht wissen."
Jannik, der junge Kommunikationsoffizier, senkte die Stimme. "Ich hab gehört, sie reden nachts miteinander. Nicht in unserer Sprache. Etwas... anderes."
Ein Schauer lief den Anwesenden über den Rücken. Die Vorstellung, dass die Gefangenen vielleicht kommunizierten – mit wem oder was auch immer – war beunruhigender als jeder offene Aufstand.
Götz stand vor Wolframs Quartier. Mit einem harten Klopfen trat er ein, ohne zu warten.
Wolfram hob den Kopf von den Sternenkarten, die über seinem Holoprojektor schwebten. Seine Augen waren rotgerändert, die Spuren schlafloser Nächte. "Götz. Ich nehme an, das ist wichtig?" "Wichtiger als deine Karten, ja." Götz blieb stehen, die massigen Schultern angespannt wie ein Bär in der Enge. "Die Mannschaft flüstert. Sie wollen wissen, warum die Dänen noch atmen."
Wolfram lehnte sich zurück, ein schiefes Grinsen auf seinem wettergegerbten Gesicht. "Ach, die gute alte Mannschaftsdemokratie. Soll ich vielleicht eine Abstimmung machen lassen? 'Hand hoch, wer heute Verräter hinrichten möchte'?"
Götz blieb ernst, aber ein winziges Zucken in seinen Augenbrauen verriet, dass er den Sarkasmus erkannte. "Du weißt genau, dass es nicht darum geht. Aber wenn du willst, dass ich weiterhin deine unpopulären Entscheidungen verteidige, dann gib mir was Handfestes."
"Handfestes?" Wolfram hob theatralisch die Augenbrauen. "Wie wär's mit: Ich mag den Anblick von Eriks Gesicht beim Morgentee? Oder dass ich wetten will, wie lange es dauert, bis er sich selbst mit diesen lächerlichen Gefängnisbärten erstickt?"
Ein leises Schnauben entwich Götz' Nase. "Beides schlechte Gründe. Und du bist ein miserabler Lügner."
"Und du ein unerträglich aufrichtiger Bastard." Wolfram grinste, dann wurde sein Blick ernster. "Die Wahrheit ist... ich warte auf den richtigen Moment. Erik weiß mehr, als er zugibt. Und jetzt, mit der Rune..." Er deutete auf das pulsierende Artefakt. "...haben wir endlich etwas, womit wir ihn wirklich unter Druck setzen können."
Götz nickte langsam. "Das klingt nach einem Plan. Aber verschlepp es nicht zu lange. Die Mannschaft ist nervös."
"Die Mannschaft ist immer nervös", konterte Wolfram trocken. "Das ist ihr Job. Unser Job ist es, sie am Leben zu halten, während sie nervös sind."
Ein seltenes, raues Lachen entrang sich Götz. "Du bist immer noch der gleiche arrogante Sack wie vor zwanzig Jahren."
"Und du immer noch der einzige, der mir das ins Gesicht sagt." Wolfram stand auf und klopfte Götz auf die Schulter. "Komm, alter Bär. Lass uns unseren gefangenen Dänen einen Besuch abstatten. Vielleicht können wir ihm ja ein paar neue Gründe geben, um sein Leben zu fürchten."
Götz' Mundwinkel zuckten. "Jetzt redest du."
Die beiden Veteranen verließen die Kammer, ihre Schritte im perfekten Gleichschritt - wie schon so oft in den langen Jahren des Dienstes. Die unausgesprochene Wahrheit zwischen ihnen: In einer Welt voller Schatten und Rätsel war diese direkte, ehrliche Feindseligkeit fast schon ein Trost.
Wolfram und Götz schritten durch die engen Gänge der Wotansklinge, das gedämpfte Summen der Schiffssysteme begleitete ihre Schritte. Die Beleuchtung flackerte leicht, als würden die Schatten selbst ihre Anwesenheit spüren.
Götz räusperte sich, seine Stimme war ein tiefes Grummeln. "Also, die Wachen berichten von Dingen, die dir nicht gefallen werden." Er warf Wolfram einen Seitenblick zu. "Aber du willst es ja ungeschönt hören."
Wolfram grinste sarkastisch. "Oh, bitte, verschone mich nicht. Nach den letzten Wochen kann mich kaum noch etwas schockieren."
"Gut." Götz' Stimme wurde noch tiefer. "Nachts, wenn die Lichter gedimmt sind, beginnen sie zu... flüstern. Keine Worte, die wir kennen. Es klingt wie—" Er suchte nach der richtigen Beschreibung, "—wie Wasser, das rückwärts über Steine fließt. Und manchmal..." Er zögerte kurz. "Manchmal antwortet etwas."
Wolframs Schritte verlangsamten sich kaum merklich. "Antwortet? Wie das?"
"Die Wachen sagen, es kommt aus den Wänden. Ein Echo, das kein Echo sein sollte." Götz' Finger krümmten sich unwillkürlich. "Letzte Nacht hat der junge Reiner geschworen, die Schatten hätten sich in Eriks Zelle bewegt. Nicht als Gestalten, sondern als... Wellen. Als ob die Dunkelheit selbst atmen würde."
Wolfram blieb abrupt stehen. "Und warum zum Teufel hat mir das niemand gemeldet?"
Götz hob eine buschige Augenbraue. "Weil du befohlen hast, die Gefangenen um jeden Preis am Leben zu erhalten. Die Wachen dachten, du hättest deine Gründe."
Ein bitteres Lachen entrang sich Wolfram. "Großartig. Jetzt halten sie mich für verrückt oder für einen Verschwörer." Er strich sich über das Kinn. "Und die Crew?"
"Die Crew ist gespalten", gab Götz unverblümt zurück. "Die einen denken, du führst ein geheimes Experiment durch. Die anderen..." Er zögerte. "Die anderen flüstern, die Schatten hätten schon Einfluss auf dich."
Wolframs Augen blitzten gefährlich. "Das ist ja mal eine neue Stufe der Meuterei."
"Keine Meuterei. Nur Angst." Götz' Blick war ernst. "Und du nährst sie, indem du keine Erklärungen gibst."
Die beiden Männer standen nun vor der schweren Tür zur Gefängniszelle. Wolfram legte die Hand auf den Entriegelungscode, zögerte aber. "Du hast recht. Es wird Zeit für Klarheit." Sein Lächeln war kalt. "Mal sehen, ob unser lieber Erik heute Nacht gesprächiger ist."
Als sich die Tür öffnete, drang ein seltsamer, metallischer Klang an ihre Ohren – als würde jemand mit Fingernägeln über vibrierenden Stahl streichen. Die Luft in der Zelle war kalt, viel kälter als im Rest des Schiffes.
Erik saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, sein Gesicht im Schatten. Aber sein Lächeln war deutlich zu sehen – zu weit, zu viele Zähne.
"Ah, Kapitän", flüsterte er in einer Stimme, die leicht verzerrt klang. "Ich habe dich erwartet. Wir alle haben dich erwartet."
Hinter ihm, an der nackten Metallwand, bewegten sich die Schatten – nicht als Projektionen, sondern als etwas Lebendiges. Etwas, das wartete.