Am Mittwochabend, dem 5. November 2025, schien der Mond so nah, dass man beinahe glaubte, ihn mit der Hand berühren zu können. Um 23:16 Uhr erreichte er seine geringste Distanz zur Erde – 356.400 Kilometer. Ein sogenannter Supermond, bei dem sich der Vollmond und der erdnächste Punkt seiner elliptischen Umlaufbahn (das Perigäum) treffen.
Ich habe mir an diesem Abend die Zeit genommen, bin hinausgegangen, als die Straßen still wurden. Der Himmel war klar, die Luft kühl und schwer. Ich erinnere mich an den Moment, als ich am Waldrand stand – der Mond hing über den Feldern, groß, golden, fast überirdisch. Es war, als würde er alles andere in Schweigen hüllen.
Der Mond – Spiegel der Erde, Hüter der Zeit
Astronomisch betrachtet verändert sich beim Supermond nichts Magisches – er ist schlicht näher, wirkt dadurch bis zu 14 % größer und 30 % heller als ein durchschnittlicher Vollmond.
Doch was wir sehen, ist nicht nur Licht. Es ist Erinnerung.
Der Mond war für die Menschen seit jeher mehr als ein Himmelskörper. Er war Taktgeber, Symbol des Wandels, Spiegel des Inneren. Schon die alten Kulturen beobachteten seine Phasen und richteten Rituale, Feste und Kalender danach aus. Auch die nordischen Völker – Germanen, Isländer, Wikinger – schauten zum Mond, um den Lauf der Zeit und der Götter zu verstehen.
Máni – der Mondgott der Nordmänner
In der nordischen Mythologie trägt der Mond einen Namen: Máni.
Er ist keine kalte Kugel aus Stein, sondern ein Wesen – Bruder der Sonne Sól, geboren aus Funken des Schöpfers Mundilfari.
Die Edda erzählt, dass Máni Tag für Tag über den Himmel zieht, verfolgt von dem Wolf Hati, der ihn einst verschlingen wird, wenn Ragnarök – das Weltenende – naht.
Dieses Bild ist kraftvoll: der Mond als Gejagter, ewig kreisend, immer auf der Flucht, und doch unentbehrlich.
Er spendet Licht, wenn alles andere Dunkel ist.
Er zeigt, dass auch das Vergängliche Schönheit hat.
Vielleicht war es genau das, was die nordischen Völker in ihm sahen – ein Gleichnis für das Leben selbst: vom Wachsen und Schwinden, vom Kommen und Gehen, vom Werden und Vergehen.
Wenn Licht zu Sprache wird
In manchen alten Liedern wird Máni als „der Freund der Wanderer“ bezeichnet.
Denn wer in jenen Zeiten bei Nacht unterwegs war – sei es auf See, im Wald oder über vereiste Ebenen – war auf sein Licht angewiesen. Der Mond wurde zu einem Wegweiser.
So wie die Sonne das Symbol des Triumphs und des offenen Kampfes war, so stand der Mond für das Innere, das Unsichtbare, das Träumende.
Er war der Hüter der Geheimnisse, der Begleiter derjenigen, die sich nicht mit der Welt des Tages zufriedengaben.
Vielleicht deshalb zieht es auch heute noch viele von uns hinaus, wenn der Supermond über den Himmel steigt.
Er ruft etwas Altes in uns wach – ein Gefühl, das nicht aus der Logik kommt, sondern aus der Erinnerung an eine Zeit, in der wir die Welt noch nicht in Zahlen erklärten, sondern in Zeichen fühlten.
Der Supermond als Spiegel unserer Sehnsucht
Ich stand dort, im Novemberwind, und fragte mich, ob irgendwo jemand anderes zur selben Zeit dasselbe dachte.
Dass der Mond mehr ist als eine Scheibe am Himmel.
Dass er uns verbindet, über Zeit und Raum hinweg.
Vielleicht ist es dieses Gefühl, das wir in Zeiten wie diesen suchen: eine Beständigkeit, die uns daran erinnert, dass alles zyklisch ist.
Wie der Mond wächst und vergeht, so kommen auch unsere dunklen und hellen Tage.
Und jedes Mal, wenn er wieder voll erstrahlt, ist das wie eine stille Verheißung:
Es wird wieder Licht.
Der Mond in nordischer Zeitrechnung
Die nordischen Kalender waren lunisolar – sie richteten sich nach Sonne und Mond.
Jeder Monat begann mit dem Neumond. Feste wie Jól (das Julfest) und Blóts (Opferfeste) waren an Mondphasen gebunden.
Selbst die Runenreihe kann als Abbild des Mondzyklus gedeutet werden: von Fehu, dem Beginn, bis Othala, der Vollendung.
Der Mond war damit ein Zeitmesser, aber auch ein Übergangssymbol.
In Nächten des Vollmonds – so berichten isländische Sagas – glaubte man, dass die Grenze zwischen den Welten dünner sei.
Dass Geister, Ahnen und Götter näher an die Welt der Menschen traten.
Vielleicht ist das der Grund, warum man sich auch heute noch seltsam beobachtet fühlt, wenn der Mond groß und hell über dem Himmel hängt. Nicht, weil er uns sieht – sondern, weil wir uns in ihm sehen.
Ein Moment zwischen Mythos und Gegenwart
Als ich zurückging, war es kurz nach Mitternacht. Der Mond stand noch hoch, die Felder silbern, die Schatten scharf.
Ich blieb noch einmal stehen.
So ruhig, dass man das eigene Herz schlagen hört.
Da war kein göttliches Zeichen, kein kosmisches Geheimnis – und doch fühlte sich alles an, als sei es genau so gemeint.
Vielleicht ist das der wahre Sinn solcher Nächte:
Nicht das Spektakel am Himmel, sondern das, was es in uns auslöst.
Ein Erinnern an das, was wir längst vergessen glaubten – dass wir Teil von etwas Größerem sind.
Fazit – Máni über uns
Der Supermond vom 5. November 2025 war mehr als ein astronomisches Ereignis.
Er war ein Spiegelmoment – ein Leuchten, das uns zeigte, wie klein und zugleich wie verbunden wir sind.
Für die Nordmänner war der Mond göttlich, für uns ist er heute wissenschaftlich – doch die Wirkung bleibt die gleiche.
Er hebt den Blick.
Er beruhigt.
Er erinnert uns daran, dass auch in der Dunkelheit Schönheit wohnt.
Und wer weiß – vielleicht jagt irgendwo da draußen immer noch Hati, der Wolf, seinem Licht hinterher.
Nur damit wir Menschen nie vergessen, dass selbst das Flüchtige einen Sinn hat.